Jetzt.Mensch
Zu Halloween sind wir durch unser christlich geprägtes, bayrisches Dorf gezogen – Kinderstimmen riefen „Süßes oder Saures!“, während Lichter in Kürbissen flackerten.
Ich mag die Kommerzialisierung dieses Festes nicht besonders, und doch liebe ich seine tiefere Bedeutung – den Tanz mit dem Dunklen, das Sichtbarmachen des Verborgenen, das Feiern des Übergangs zwischen Leben und Tod.
Ich selbst hatte mich, in alter Hexenmanier, geschmückt: ein Augenzwinkern an die uralte Weiblichkeit, die mit der Nacht vertraut ist.
Wir liefen von Haus zu Haus, bis eines besonders meine Aufmerksamkeit zog – kein Kürbis vor der Tür, sondern ein leuchtender Tannenbaum.
Eine ältere Frau öffnete, freundlich und fest verwurzelt im Glauben.
Sie sagte: „Ich bin kein Fan von Halloween, aber ich habe etwas für die Kinder vorbereitet.“
Statt Süßigkeiten gab es Bastelbögen, ein Kirchenlied – und einen Segen.
Auf dem Deckblatt stand in großen Buchstaben: „Licht statt Dunkelheit.“
Zwei Tage später blieb dieser Satz in mir hängen.
„Licht statt Dunkelheit“ – eine klare, aber trügerische Botschaft.
Denn was, wenn Dunkelheit gar kein Feind ist?
Was, wenn sie das Gewebe ist, aus dem das Licht überhaupt erst geboren wird?
In der fernöstlichen Philosophie – besonders im Daoismus und im Denken der Fünf Elemente – gibt es kein Entweder-Oder.
Licht und Dunkel sind in einem Atemzug des Lebens verborgen.
Das Yin (Dunkelheit, Ruhe, Tiefe) und das Yang (Licht, Bewegung, Wärme) bedingen einander.
Einatmen – das Ausatmen hat im Zwischenraum schon begonnen – Ausatmen – das Einatmen beginnt im nicht atmen des Zwischenraums, der Stille.
Ohne Dunkelheit keine Ruhe, kein Keim, kein Same.
Ohne die Nacht kein Morgen.
Ohne das Unbekannte keine Erkenntnis.
Wenn wir Dunkelheit ablehnen, verlieren wir den Zugang zu unserer Tiefe.
Zu dem Ort, an dem Heilung geschieht, wo die Seele ruht, wo Neues entstehen darf.
Vielleicht verwechselt unsere Kultur Dunkelheit mit „dem Bösem“,
weil wir Angst haben, in ihr zu verschwinden – statt zu lernen, ihr zuzuhören. Der Stille lauschen.
Ich erklärte meiner Tochter, dass der Kürbis mit seinem Licht nicht gegen die Dunkelheit leuchtet – sondern in ihr.
Er erinnert uns daran, dass Licht nur dann sichtbar wird, wenn es Schatten gibt.
Und dass wir beides brauchen, um ganz zu sein.Vielleicht sollten wir also nicht sagen:
„Licht statt Dunkelheit“,
sondern:
„Licht in der Dunkelheit – und Dunkelheit im Licht.“
Denn nur wenn wir beide umarmen,
können wir leuchten, ohne zu blenden.

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